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Soziale Nähe: Wie man den Teamgeist im Homeoffice hoch hält

Von Thomas Rosenstiel 23. April 2020

Nach monatelangen Kontaktbeschränkungen haben wir Erfahrung darin gesammelt, ausschließlich über digitale Kommunikationsmittel zusammen zu arbeiten. Einige mögen es erholsam finden, nicht dauernd von den geselligen Kollegen gestört zu werden. Die meisten aber vermissen etwas. Nämlich die Launen ihrer Kollegen – so abwegig das im ersten Moment das klingen mag.

Die Bedeutung sozio-emotionaler Bedürfnisse

Wir haben alle das Bedürfnisse nach sozialen und emotionalen Erlebnissen – auch im Arbeitskontext. Die Befriedigung dieser sozio-emotionalen Bedürfnisse spielt eine wichtige Rolle für unsere Zufriedenheit und Zugehörigkeitsgefühl mit der Organisation . Wenn uns jetzt also die berühmte Decke auf den Kopf fällt, dann hat das auch mit nicht erfüllten sozio-emotionalen Bedürfnissen zu tun.

Der kurze Plausch an der Kaffeemaschine oder die Rückfrage zum Projekt im Büro nebenan sind dabei nur die offensichtlichsten Interaktionen die jetzt wegfallen. Die meisten dieser sozialen Momente nehmen wir gar nicht bewusst wahr. Wir erkennen dennoch z.B. die geknickte Körperhaltung des Kollegen, der gerade von einem geplatzten Projekt erfahren hat, oder die schlechte Laune der Vorgesetzten, wegen der Kürzung des Budgets.

Wenn wir diese bewußt erkennen, können wir auch darauf reagieren. Dann loben wir die Vorgesetzte z.B. für ihr stets gefülltes Gummibärchenglas im Büro und nehmen damit positiv Einfluss auf ihren Gemütszustand. Wir sind abhängig von Beziehungen und Emotionen. Wir wollen Anteil nehmen können, Frustration erkennen oder Freude. Wir möchten Anerkennung erhalten und anerkennen. So lange dabei positive Begegnungen überwiegen, geben sie uns buchstäblich Energie und das Gefühl dazu zu gehören. Sie machen uns tatsächlich produktiver.

Wie ist die Stimmung im Unternehmen?

Im Büro ergeben sich viele sozio-emotionale Erlebnisse von selbst. Wenn alle räumlich getrennt im Homeoffice arbeiten, müssen diese Erlebnisse aktiv erschaffen werden. Wie ist die Stimmung im Büro? Fast jeder kann auf diese Frage schnell eine Antwort geben. Wie die Stimmung in den Homeoffices ist, lässt sich nicht so leicht erkennen. Wer nicht erkennt, wo eine Spannung entsteht, kann sie auch nicht lösen.

Empathie ist digital nur schwer abzubilden. Doch auch mit digitalen Mitteln kann man ein Bild über die emotionale Lage im Unternehmen bekommen. App gestützte Umfragen, z.B. mit SurveyMonkey, sind eine naheliegende Möglichkeit. Erfahrungsgemäß ist dort allerdings der Rücklauf nur gering. In Chat-Systemen, wo unmittelbarer und informeller kommuniziert wird, lassen sich solche Abfragen gut in den Informationsstrom integrieren. Für das verbreiteten Chat-System Slack gibt es sogar einige Spezialanwendungen im App Store – wie z.B. Moodbit oder TeamMood.

Es gibt auch eigenständige Apps die dabei helfen, die Stimmung in der Organisation einzufangen – wie z.b. https://bekokoro.com. Es geht immer darum, die vorhandenen Emotionen wahrzunehmen, um darauf reagieren zu können. In einer emotional belastenden Situation wie zurzeit ist das besonders wichtig. Auch wenn die physikalische Zusammenarbeit wieder möglich sein wird, lassen sich mit diesen Werkzeugen wichtige Einblicke erhalten, um die Erfüllung sozio-emotionaler Bedürfnisse im Unternehmen zu verbessern.

Gegen Unsicherheit hilft Transparenz und Orientierung

In unsicheren Situationen suchen wir stärker nach Orientierung. Wenn unser Schicksal gefühlt in den Händen anderer liegt, brauchen wir die Rückversicherung, dass diese Personen verantwortungsvoll damit umgehen. Wie wichtig das ist, erleben wir aktuell bei den regelmäßigen Ansprachen durch die Politik. Es gibt digital viele Möglichkeiten Präsenz zu Zeigen und Nähe zu demonstrieren. Botschaften an die Mitarbeiter lassen sich mit jedem Smartphone aufnehmen. Für die Verbreitung stehen von der Videokonferenz bis zum geschlossenen Youtube Stream diverse Alternativen zur Verfügung.

Neben der Information an sich spielt besonders die vermittelte Emotion eine große Rolle. Um Sicherheit, Vertrauen oder auch Trost zu vermitteln, benötigen die Botschaften große Klarheit und Empathie. Es muss nicht immer eine „Ansprache“ sein, um den nötigen emotionalen Rückhalt zu geben. Auch im Rahmen eines wöchentlichen Jour Fix oder Stand-up lässt sich dafür Raum schaffen. Wichtig ist regelmäßig zu informieren und Fragen zu beantworten – gerade wenn sich die Lage schnell verändert.

Soziale Begegnungen brauchen Raum

In einer digitalen Arbeitsumgebung beschränken sich sämtliche Kontakte tendenziell auf das professionell Notwendige. Soziale Erlebnisse für die wir im Büro Zeit aufbringen, wie Kaffeepausen oder gemeinsame Mittagessen kommen digital nicht vor. Wir verbinden die Verwendung von Arbeitsmitteln wie Videokonferenzen ausschließlich mit produktiven Tätigkeiten. Selbst wenn es sich merkwürdig anfühlt, solche Pausen-Begegnungen muss man auch digital pflegen. Mit Freunden in einer Videokonferenz gemeinsam ein Bier zu trinken hätte vor wenigen Wochen niemand wirklich in Erwägung gezogen. Wer es allerdings probiert hat erlebt durchaus einen positiven emotionalen Effekt.

Die Chancen von Meetings nutzen

Im „echten Leben“ finden im Umfeld von Besprechungen viele persönlichen Begegnungen statt. In einem digitalen Setup entfallen diese. Am Ende einer physikalischen Konferenz können Gespräche entstehen. Am Ende einer Videokonferenz entfällt diese Möglichkeit für soziale Begegnungen.

Auch in Videokonferenzen haben alle wenig Zeit, wollen pünktlich beginnen, schnell zum Punkt kommen und pünktlich enden. Als Moderator einer Besprechung lassen sich in diesem Rahmen dennoch positive Impulse setzen, damit sich die Gruppe in der aktuellen Situation wahrnehmen kann und dem Austausch darüber Raum gibt. Dabei geht es nicht um Seelenstriptease, sondern darum soziale Begegnungen jenseits der fachlichen Fragestellung zu ermöglichen. Das kann locker im Small Talk zu Beginn der Besprechung stattfinden. Einige vorbereitete öffnende Fragen helfen, den Austausch über die emotionale Lage in Gang zu bringen. – Dafür eignen sich besonders Skalierungsfragen, z.B. „Auf einer Skala von 1-10, wie sehr vermisst ihr es ins Büro zu kommen?“ Am Ende einer Videokonferenz lassen sich Brücken für soziale Begegnungen außerhalb des Meetings bauen. – z.B. die Einladung für einen anschließenden informellen Austausch bei einer Video-Kaffeepause.

Feiern nicht vergessen

In der aktuellen Situation ist niemandem wirklich zum Feiern zumute. Aber etwas zu feiern ist ein emotionales Ereigniss, das die Identifikation mit dem Team und der Organisation prägt. Deshalb ist feiern, als Zeichen der Wertschätzung, auch jetzt enorm wichtig. Es gibt auch jetzt Erfolge die gefeiert werden können. Vielleicht sind es zurzeit weniger Projektabschlüsse oder Vertriebserfolge, dafür Erfolge wie die Organisation die aktuelle Situation meistert. Geburtstage oder Firmenjubiläen sind auch digital willkommene Anlässe. Es gibt Möglichkeiten soziale und emotionale Momente zu schaffen, auch wenn alle gerade auf Distanz zueinander sind. Ein überraschendes Ständchen der Kollegen am Ende einer Videokonferenz für den Jubilar und eine kleine Aufmerksamkeit, per Lieferdienst versandt, freuen jeden Mitarbeiter und stärken sein Zugehörigkeitsgefühl.

Wichtig ist, dass die Firma auch in schlechten Zeiten ihre Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern ausdrückt. A bissl was geht ja bekanntlich immer.

Photos von Benjamin Child, Clay Banks auf Unsplash.